Pflegebedürftigkeit macht hilflos. Egal, ob sie plötzlich oder schleichend eintritt. Inwieweit sich körperliche und geistige Einschränkungen auf die Psyche der Betroffenen auswirken und welchen Einfluss Maßnahmen der Positiven Psychologie haben können, erklärt Nicole Schliz im Interview, gelernte Krankenschwester und Coach der Positiven Psychologie.
Pflegebedürftige haben meist nicht nur mit körperlichen Leiden zu kämpfen. Wie wirkt sich das Ganze auch auf die Psyche aus?

Können diese psychischen Belastungen die eigentliche Erkrankung verschlimmern?
SCHLIZ: Ja natürlich. Sind Optimismus und Hoffnung nicht vorhanden, so macht das eine Therapie oft extrem schwierig. Man sieht das bei Schlaganfall-Patienten, die viele Fähigkeiten erst wieder mühevoll erlernen müssen. Fehlt die positive Grundeinstellung, dann wird es schwer, den Patienten zum Mitarbeiten zu bewegen.
Warum ist vor allem die Positive Psychologie geeignet, um in solchen Fällen Abhilfe zu verschaffen?
SCHLIZ: Traditionell ist die Psychologie defizitorientiert. Das bedeutet: Es geht darum, psychische Defizite zu erkennen und diese zu behandeln. Die Positive Psychologie hat da einen anderen Ansatz. Hier geht es darum, positive Ressourcen, also noch vorhandene Fähigkeiten eines Menschen zu erkennen und diese zu nutzen. Zum Beispiel sind manche Menschen besonders widerstandsfähig oder verfügen über einen angeborenen Optimismus –solche Eigenschaften und Stärken lassen sich zum Vorteil des Patienten einsetzen.
Inwieweit kann das Reisen helfen, solche positiven Eigenschaften und Energien zu generieren?

Dennoch verreisen nur wenige Pflegebedürftige. Woran liegt das?
SCHLIZ: Das kommt immer auf die Biografie des Einzelnen an. Wer früher schon immer viel gereist ist, wird dieses Bedürfnis wahrscheinlich auch dann noch verspüren, wenn er pflegebedürftig ist. Dennoch ist es natürlich so, dass die Pflege selbst in vielen Fällen schon Herausforderung genug ist und der Fokus darauf liegt, wie der Alltag überhaupt gemeistert werden kann. Reisen sind da oft das letzte, woran Betroffene oder Angehörige denken. Hinzu kommt der Kostenfaktor. Pflege kostet Geld, sodass sich viele Menschen eine zusätzliche Reise nicht leisten können. Dennoch gibt es auch bei geringem Budget Möglichkeiten. Betroffene sollten nach wohnortnahen Angeboten Ausschau halten. Oft gibt es Ausflüge und Freizeiten, die von Wohlfahrtsverbänden angeboten werden. Zudem lässt sich das Betreuungsgeld in Höhe von 125 Euro pro Monat nutzen: Findet man einen Pflegedienst, der Begleitpersonen für Reisen anbietet, so kann dieses Geld dafür eingesetzt werden.
Worauf sollte man achten, wenn Pflegebedürftige verreisen?

Was raten Sie, wenn sich ein Pflegebedürftiger gegen eine Reise sperrt – sollte man ihn dann „zu seinem eigenen Wohl“dazu zwingen?
SCHLIZ: Jemanden zu irgendetwas zu überreden oder gar zu zwingen, macht keinen Sinn. Solange ein Mensch noch selber Entscheidungen treffen kann, sollte er dies auch tun dürfen. Sind Pflegepersonal und Angehörige dennoch der festen Überzeugung, dass eine Reise dem Patienten extrem helfen würde, gibt es natürlich Möglichkeiten, den Betroffenen an das Thema heranzuführen. Tagesausflüge sind hier eine gute Möglichkeit. Wichtig ist dabei, dem Pflegebedürftigen immer einen hohen Grad an Sicherheit zu vermitteln. Denn wenn sich jemand komplett gegen das Reisen sperrt, dann ist oft Angst der Grund. Die Angst vor Neuem und davor, das gewohnte sichere Umfeld zu verlassen. Genau diese Unsicherheit gilt es zu nehmen.
Veröffentlicht am 28.07.2017