Mal ist es ein rüdes Anfassen oder ein respektloser Ton, mal unterlassene Hilfe oder sogar Schlimmeres: Eine aktuelle Studie der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) zeigt, dass die Rechte Pflegebedürftiger häufig nicht beachtet oder sogar wissentlich missachtet werden. Etwa jeder dritte Mitarbeiter in der Pflege hat solche grenzüberschreitenden Situationen schon selbst erlebt. Wie genau steht es also in Deutschland um die Rechte Pflegebedürftiger? Gehört Gewalt in der Pflege etwa zum Alltag?
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – so lautet Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes. Und das gilt natürlich, wenn nicht insbesondere, auch für Menschen, die krank oder pflegebedürftig sind. Sie benötigen Hilfe durch andere und müssen somit in besonderem Maße auf eine würdevolle Betreuung vertrauen. Doch im täglichen Umgang stellt das nicht selten eine enorme Herausforderung für alle Seiten dar. Wie passen zum Beispiel Privatsphäre und Hilfe bei der Körperpflege zusammen? Kann oder sollte der Wille demenzkranker Menschen jederzeit berücksichtigt werden? Das ZQP ist der Frage nachgegangen, welche Erfahrungen Mitarbeiter in der Pflege im Alltag machen. Im Rahmen einer repräsentativen Umfrage wurden dazu die Einschätzungen von 1.000 stationären Einrichtungen und ambulanten Diensten eingeholt. Das ernüchternde Ergebnis: Aus Sicht des ZQP ist das Recht auf gute Pflege in der Praxis längst nicht überall durchgesetzt.
Die Auswertung macht deutlich, dass Fälle von Gewalt keine Ausnahmen sind, im Gegenteil. Etwa jeder dritte Mitarbeiter in der Pflege (34 %) erlebt, dass die Rechte Pflegebedürftiger regelmäßig missachtet werden. Besonders häufig kommt dabei vor, dass über den Willen des pflegebedürftigen Menschen hinweg gehandelt wird – diese Situation kannten mehr als die Hälfte der Befragten (58 %) aus dem eigenen Umfeld. Ihrer Erfahrung nach kommt es außerdem sehr häufig vor, dass der Pflegebedürftige notwendige Hilfe nicht (49 %) oder nicht rechtzeitig (46 %) erhält. Daneben erleben Pflegende unter anderem auch, dass die Privatsphäre von pflegebedürftigen Menschen nicht geachtet, diese respektlos angesprochen, beschämt, körperlich grob angefasst oder gegen ihren Willen fixiert werden.
Kernforderungen: Mehr und besser ausgebildetes Personal
Doch wie kann ein Ausweg aus dieser Situation aussehen, unter der alle Seiten leiden? Danach gefragt fordern die Umfrageteilnehmer fast einhellig mehr Personal in der Pflege (96 %), das außerdem besser ausgebildet sein sollte (76 %). Ihrer Meinung nach müssen sich auch die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern (92 %). Ebenfalls interessant: Die Pflegeprofis wünschen sich zudem mehr engagierte Bürger, die sich für die Einhaltung von Rechten Pflegebedürftiger einsetzen (65 %). Das ZQP hat die allgemeine Bevölkerung ebenfalls zu ihren Erfahrungen und Einschätzungen befragt – mit ähnlichen Ergebnissen: Die rund 1.000 Umfrageteilnehmer stimmen den Pflege-Mitarbeitern in vielen Punkten zu. So fordern sie ebenfalls mehr Personal (94 %) und bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege (90 %). Und auch aus ihrer Sicht sollten sich mehr Bürger für die Rechte Pflegebedürftiger starkmachen (81 %). Etwas mehr als ein Viertel der Befragten hat persönlich schon erlebt, dass eben diese Rechte missachtet wurden.
Gewaltprävention im Fokus
Als weitere Maßnahme plädiert das ZQP für ein neues Bewertungssystem, das transparent macht, wo gute Pflege stattfindet und wo nicht. Die Stiftung appelliert an die Politik, sicherzustellen, dass ein solches System nun tatsächlich entsteht. Zudem hat sie sich dem Thema Gewaltprävention angenommen und ein Internetportal entwickelt, das neben Informationen und praktischen Tipps auch Kontakte zu Krisentelefonen bereithält. Damit es gar nicht erst zu Missachtungen oder Vernachlässigungen komme, sei es wichtig, früh gegenzusteuern, so die Initiatoren des Portals, das unter www.pflege-gewalt.de zu finden ist.