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Pflege während der Corona-Pandemie
Die Suche nach dem passenden Pflegeheim
Die Entscheidung ein Familienmitglied in eine Pflegeeinrichtung zu geben, fällt den meisten Angehörigen sehr schwer. Ein passendes Pflegeheim zu finden, wird darum zur wichtigsten Aufgabe – und hängt dabei an verschiedenen Faktoren. Neben Qualitätssiegeln und persönlichen Empfehlungen kommt es darauf an, wie der Umgang mit Pflegebedürftigen in den Einrichtungen gestaltet wird. Seit der Ausbreitung der Covid-19-Pandemie hat die Situation sich zudem verschärft: Pflegende Angehörige müssen sich unbedingt gut organisieren und Hilfe in ihrem Umfeld in Anspruch nehmen.
Annika Mautz wacht morgens mit Nackenschmerzen auf. Als erstes denkt sie an ihren Mann. Er liegt im Nachbarzimmer und wird gleich nach ihr rufen. Ihr Mann hat Demenz im fortgeschrittenen Stadium und eine Herzmuskelschwäche. Dadurch benötigt er verschiedene Medikamente. Als er erste Anzeichen einer Demenz zeigte, hat sie ihm versprochen: „Du bleibst bei mir – komme was wolle.“ Er war damals anderer Meinung: „Wenn es hart auf hart kommt, möchte ich ins Heim.“ Im Februar 2020 war ihre Energie schließlich aufgebraucht und sie sprach bei einem Treffen mit ihren zwei erwachsenen Kindern: „Ich kann nicht mehr. Ich möchte, dass er sobald wie möglich in ein Pflegeheim kommt.“
Familie Mautz ist sich einig: Es soll ein schönes Pflegeheim mit einer großen Gartenanlage und Einzelzimmern sein. Die Pflegefachkräfte sollen sowohl den Pflegebedürftigen als auch den Angehörigen freundlich begegnen. Wichtig ist ihnen auch, dass es gut erreichbar ist, sodass Annika Mautz ihren Mann täglich besuchen kann.
Diese Wünsche kommen Brigitte Bührlen bekannt vor. Sie ist Vorsitzende von Wir! Stiftung Pflegender Angehöriger und war selbst in einer ähnlichen Situation. Nach Jahren der häuslichen Pflege kam sie an ihre Grenzen und beschloss, ihre Mutter in einem Pflegeheim unterzubringen: „In unserem Ort gab es ein Pflegeheim, das ich gut kannte. Das war ein Riesenglück.“ Denn häufig befassen sich Angehörige erst mit dem Thema professionelle Altenpflege, wenn sie am Ende ihrer Kräfte seien und die Zeit dränge. Dann bestehe die Gefahr, dass sie sich vom ersten Eindruck überzeugen ließen: „Die Pflegeheime zeigen sich natürlich zunächst von ihrer schönsten Seite. Es lohnt sich, einen genaueren Blick zu wagen und auch Freunde oder Nachbarn um Empfehlungen zu bitten.“
Checkliste für die Pflegeheim-Auswahl
Oftmals muss der Umzug eines Angehörigen in ein Pflegeheim schnell gehen. Dennoch bedarf es einer reiflichen Überlegung bei der Auswahl des Pflegeheims. Schließlich werden die Angehörigen dort den Rest ihres Lebens verbringen. Die folgende Checkliste hilft zur Orientierung, wobei wesentliche Informationen bereits online eingeholt werden können.
- Lage und Anbindung: Wo liegt das Pflegeheim? Ist die Umgebung eher laut oder leise? Befinden sich Geschäfte wie Drogerien, Apotheken oder Cafés in der Nähe? Ist es für Angehörige leicht erreichbar?
- Atmosphäre: Behandeln die Pflegekräfte die Bewohner freundlich und mit Respekt? Wird den Bewohnern beim Essen geholfen oder werden sie allein gelassen? Wie ist der Personalschlüssel – gibt es genügend Pfleger für die Bewohner?
- Hygiene: Wirkt das Pflegeheim sauber und gepflegt? Riecht es angenehm oder eher nach Ausscheidungen? Benutzen die Pflegekräfte Handschuhe und Desinfektionsmittel?
- Ausstattung: Wie groß und hell sind die Bewohner-Zimmer? Gibt es Gemeinschaftsräume oder Räume für besondere Aktivitäten? Verfügt das Pflegeheim über einen Garten oder befindet sich ein Park in der Nähe?
- Beschäftigungsangebote: Gibt es gemeinsame Aktivitäten für die Bewohner, wie Ausflüge, Basteln oder gemeinsames Singen?
- Qualitätsmanagement: Wird ein bestimmtes Pflegekonzept eingehalten? Gibt es einen Ansprechpartner für Beschwerden? Hier lohnt sich ein Gesprächstermin mit der Heimleitung oder einer führenden Pflegekraft.
- Verpflegung: Wird der Speiseplan abwechslungsreich und bedarfsgerecht gestaltet? Wird das Essen in einer eigenen Küche frisch zubereitet oder von einer Zentralküche geliefert?
- Selbstbestimmung: Können die Bewohner selbst entscheiden, welche Aktivitäten sie unternehmen möchten, welche Kleidung sie tragen oder wann sie Besuch bekommen?
- Miteinbeziehung der Angehörigen: Werden Angehörige bei alltäglichen und wichtigen Entscheidungen vom Pflegedienst einbezogen? Gestaltet sich die Kommunikation klar und transparent?
Tipp: Dank des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) ist ein Probewohnen in Pflegeheimen möglich. Wer ein Pflegeheim sucht, kann zwei Wochen lang testen, ob er sich im favorisierten Pflegeheim wohlfühlt.
Verschiedene Vorgehensweisen können bei der Auswahl der Pflegeeinrichtung sinnvoll sein
Neben dem Erfahrungsaustausch im Bekanntenkreis gibt es noch weitere Orientierungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige bei der Suche nach dem passenden Pflegeheim. Auszeichnungen, Preise oder Siegel (siehe Infobox) mit unterschiedlichen Schwerpunkten zeigen an, welche Einrichtungen sich besonders um Hygienemaßnahmen, die Selbstbestimmung ihrer Bewohner oder interaktive Angebote bemühen. Außerdem hat der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen (MDK) den Pflege-TÜV entwickelt. Dieser ermöglicht den Zugang zu Informationen zur Qualität der über 15.400 Pflegeheime in Deutschland (Stand 2019). Ende 2019 wurde der Pflege-TÜV überarbeitet. Statt Schulnoten werden nun Bewertungen vergeben, die detailliert über die Qualität und Mängel der Einrichtungen aufklären.
Brigitte Bührlen weist jedoch darauf hin, dass auch persönliche Empfehlungen, Siegel, Auszeichnungen oder Preisverleihungen nicht immer zur Orientierung ausreichen. Ihrer Erfahrung nach hänge die Qualität eines Pflegeheims auch von der Heimleitung ab: „Es gibt Menschen in Leitungspositionen, die in erster Linie wollen, dass es den Pflegefachkräften und Pflegebedürftigen in ihrer Einrichtung gut geht. Sie sorgen für eine Wohlfühlatmosphäre und das tut allen gut.“ Ein gemeinsames Kennenlernen mit der Heimleitung sollte daher Teil der Entscheidungsfindung sein.
Entscheidungshilfen für die Pflegeheim-Auswahl
Eine weitere Orientierungshilfe beim Finden des passenden Pflegeheims bietet die Weisse Liste. Sie dient als Wegweiser zur Auswahl eines passenden Pflegeheims. Angehörige können einen Vordruck ausdrucken und ausfüllen, damit bereits vor dem Pflegeheimbesuch wichtige Fragen klären und im Anschluss Eindrücke niederschreiben. Darüber hinaus ist es möglich, eine personalisierte Liste mit individuellen Anforderungen an das Pflegeheim zu erstellen.
Neben dem Qualitätssiegel Der Grüne Haken bietet die Bundesinteressenvertretung der Nutzerinnen und Nutzer von Wohn- und Betreuungsangeboten im Alter und bei Behinderung e.V. (BIVA) eine Suchmaschine für das ideale Pflegeheim. Die dort aufgelisteten Pflegeheime werden nach Qualitätsstandards ausgewählt, nachdem ein Gutachter das Heim besichtigt hat. Mit dem Heimverzeichnis haben Angehörige die Möglichkeit, sich umfassende Informationen zu den Pflegeheimen einzuholen und Eindrücke durch Bilder und Videos zu gewinnen.
Die aktuellen Qualitätssiegel für Pflegeheime
Ein passendes Pflegeheim ist da, doch dann kommt der Aufnahmestopp
Auch Annika Mautz ist so vorgegangen. Sie hat sich drei Pflegeheime angeschaut, die alle den Grünen Haken haben – ein Siegel, das für eine hohe Lebensqualität in den Einrichtungen vergeben wird. Von einem der Heime war sie besonders angetan, weil sie sich am Tag der Besichtigung bei anderen Angehörigen umgehört hat. Sie berichteten von einem hohen Personalschlüssel sowie dem besonderen Augenmerk der Pflegefachkräfte auf die Selbstbestimmung der Heimbewohner. Dazu gebe es einen guten Draht zur Pflegeleitung, die sich um die Sorgen und Nöte der Angehörigen kümmerten.
Es ist März, sie steht kurz vor dem Vertragsabschluss, als etwas Unerwartetes passiert: Die Heimleiterin teilt ihr mit, dass der Anmeldeprozess sich verzögert. Bald darauf sieht Annika Mautz es selbst in den Nachrichten. Der Coronavirus SARS-CoV-2 breitet sich rasant in Deutschland aus. Als besonders gefährdet gelten alte Menschen und Personen mit Vorerkrankungen, bei denen es zu schweren Verläufen kommen kann. Kurz darauf erfährt die in Bayern lebende Familie Mautz, dass auch in ihrem Bundesland ein Aufnahmestopp für alle Alten- und Seniorenheime verhängt wird. Die Gefahr sei zu groß, durch Neuaufnahmen den Virus in die Einrichtungen zu bringen und damit eine Infektionswelle auszulösen. Gerade war eine Entlastung der Situation für Annika Mautz greifbar nahe – dann musste sie ihren Pflegealltag wieder aufnehmen.
Kritik von der Deutschen Stiftung Patientenschutz an den Maßnahmen zur Covid-19-Eindämmung
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, kritisiert die Situation, nicht zuletzt aus Patientenperspektive. Er schätzt die Auswirkungen des Aufnahmestopps für Betroffene sogar als verheerend ein. Es gehe dabei nicht nur um Neuanmeldungen: „Tagespflege und Kurzzeitpflege sind eine wichtige Entlastung für pflegende Angehörige. Und nicht nur für sie, – auch für die Krankenhäuser.“ Die Kurzzeitpflege wird häufig nach Krankenhausentlassungen in Anspruch genommen. So entsteht eine Art Pufferzeit, bis die Patienten wieder zu Hause leben können.
Um pflegende Angehörige zu entlasten und Besucher wieder in die Einrichtungen zu lassen, schlägt Brysch eine Aufteilung der Pflegeeinrichtungen in drei Bereiche vor: „Es reicht nicht aus, nur zwischen Infizierten und Nichtinfizierten zu unterscheiden. Ein dritter Sektor ist wichtig, der Pflegebedürftige in den Blick nimmt, die noch nicht klar zugeordnet werden können.“ Auch die Führung von so genannten „Linelists“ sieht er als notwendig an. In diesen Listen wird dokumentiert, wer wann mit wem Kontakt hatte. Mit diesen Listen ließen sich im Falle einer Erkrankung Infektionsketten gut nachvollziehen: „Die Voraussetzung für die Öffnung ist, für jedes Pflegeheim einen Infektionsgrundschutz zu garantieren, der vierzehn Tage reicht. Dann müssen sofort wieder Besuche über Zugangsschleusen möglich sein.“ Diese Öffnung zur Außenwelt sieht Eugen Brysch als dringend notwendig an: „Es geht nicht nur darum, dass Angehörige ihre Pflegebedürftigen wiedersehen können. Auch der Zugang von externen Therapeuten muss wieder gewährleistet sein.“
In der aktuellen Situation müssen Institutionen und Angehörige zusammenhalten
Brigitte Bührlen ist überzeugt, dass die Unterstützung für Betroffene zuhause in Corona-Zeiten wichtiger denn je ist: „Ich halte die Einrichtung eines Notfalltelefons für essenziell. Dort könnten pflegende Angehörige bei akuten Situationen wie einer Covid-19-Erkankung, aber auch bei Überforderung schnell Hilfe bekommen.“ Die Pflegekassen sieht sie in der Pflicht, Informationen zu Hygienemaßnahmen oder wichtigen Anlaufstellen herauszugeben. Sie betont darüber hinaus: „Am wichtigsten finde ich, dass Angehörige nicht in eine Angststarre verfallen. Trotz Corona sollten sie sich kleine Freiräume schaffen und auf lokale Angebote zurückgreifen.“
So ist auch Annika Mautz vorgegangen: Sie hat sich an die Nachbarschaftshilfe in ihrem Ort gewandt. Diese übernimmt nun regelmäßig Einkäufe und Besorgungen für sie. Die Angst vor einer möglichen Ansteckung hat sie mit ihren Kindern besprochen. Der Plan steht, wer im Falle einer Erkrankung für sie einspringen kann.
Aus der Krise entstanden -
Hilfsangebote für Risikopersonen
Starke Nachbarschaft
Im Zuge der Coronakrise sind unzählige Hilfsangebote und Projekte entstanden, die Solidarität in der Gesellschaft ist riesig. Blöd nur, dass Helfer und Hilfesuchende nicht immer zusammenfinden. Das wollen Online-Portale wie Quarantänehelden.org, Nebenan.de, Coronaport.net oder Wirgegencorona.com ändern. Sie sammeln bundesweit Angebote und vernetzen Menschen schnell und unkompliziert. Zum Beispiel Landwirte mit Erntehelfern, Senioren mit Einkaufshelfern, Krankenhäuser mit Maskennähern oder Tierbesitzer aus der Risikogruppe mit Gassigehern.
Silbernetz
Für etwa Millionen Menschen zwischen 60 und 99 Jahren sind Einsamkeit oder Isolation ein Thema – und diese Zahlen stammen aus der Zeit vor Corona. Schon 2017 wurde dagegen das Projekt Silbernetz ins Leben gerufen: Eine kostenfreie Hotline für vereinsamte Menschen. Seit der Pandemie ist die Nummer (0800 470 80 90) bundesweit erreichbar, täglich von 8 bis 22 Uhr. Man kann anrufen, um zu plaudern oder sich zu Netzwerken in der Nachbarschaft zu informieren. Außerdem werden auf Wunsch Telefonfreundschaften für regelmäßige Gespräche vermittelt. Solche Silberfreunde werden laufend gesucht, der Bedarf ist groß!
Aktualisiert am 01.01.2024
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