Heikle Vorsorge
Mit einer Mammografie lässt sich Brustkrebs sehr früh erkennen – mit Aussicht auf Heilung. Trotzdem ist das Verfahren mittlerweile umstritten, da es oft falsche Befunde liefert und unnötige Therapien nach sich ziehen kann.
Hübsch und dezent sieht es aus, mit pink- und rosafarbenen Akzenten auf weißem Papier. Fast wie eine schlichte Einladung zu einer Hochzeit oder Geburtstagsfeier. Doch das Schreiben, das alle zwei Jahre an Frauen zwischen 50 und 69 Jahren verschickt wird, hat denkbar wenig mit Torten und Cocktails zu tun. Es handelt sich um eine Einladung zum „Mammografie-Screening“, in der es heißt: „Ziel ist es, möglichst früh erste Anzeichen von Brustkrebs zu entdecken. Eine frühe Erkennung verbessert die Heilungschancen und ermöglicht eine schonende Behandlung.“
Das klingt gut – und ist ebenso gemeint: 2005 wurde in Deutschland für Frauen dieser Altersgruppe ein gesetzlicher Anspruch auf die Untersuchung eingeführt. Damals war die Euphorie groß, weil Studien darauf hindeuteten, dass sich die Sterblichkeit an Brustkrebs durch die Früherkennung langfristig deutlich senken ließe. Ein wichtiges Ziel, denn mit jährlich etwa 75.000 Neuerkrankungen ist Brustkrebs die häufigste Krebsart bei Frauen, an deren Folgen jedes Jahr rund 17.000 Betroffene sterben.
Zehn Jahre später macht sich nun Ernüchterung breit. Forscher aus aller Welt streiten über den Nutzen des Verfahrens, Gesundheitspolitiker rudern zurück, die Studienlage ist widersprüchlich und die Vorsorge zum Sorgenkind geworden. „Das Verfahren konnte den großen Erwartungen nicht in allem gerecht werden, stattdessen haben sich einige Probleme aufgetan“, sagt Professor Klaus Friese, Ärztlicher Direktor der Klinik Bad Trissl.
Moderne Technik ist Fluch und Segen zugleich
Um diese Probleme zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, wie eine Mammografie funktioniert. Bei der Methode wird das Brustgewebe zusammengedrückt und mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. Sie gilt als bestes Mittel zur Abklärung eines Brustkrebsverdachtes, kommt aber auch in der Vorsorge zum Einsatz. Aus gutem Grund: „Auf den Bildern einer Mammografie lassen sich selbst winzige Veränderungen erkennen – lange, bevor sie als Knoten oder Verhärtung tastbar sind“, sagt Professor Rüdiger Schulz-Wendtland vom Universitätsklinikum Erlangen. So könne zum Beispiel Mikrokalk sichtbar gemacht werden, das sind winzige Kalkablagerungen, die auf Umbauprozesse im Gewebe hindeuten und eine Vorstufe von Brustkrebs sein können. Veränderungen frühzeitig zu entdecken, ist eine große Chance, denn je kleiner ein entdeckter Tumor ist, desto weniger aggressiv muss man ihn behandeln. „Durch Mammografien kann heute viel häufiger brusterhaltend therapiert werden“, so Schulz-Wendtland.
Doch die ausgefeilte Technik ist Fluch und Segen zugleich. „Dadurch, dass schon kleinste Auffälligkeiten entdeckt werden, kann es zu falsch positiven Röntgenbefunden kommen“, erklärt Professor Friese. Das bedeutet, dass ein Krebsverdacht diagnostiziert wird, der sich später nicht bestätigt. Laut dem Nordischen Cochrane Zentrum in Kopenhagen passiert das etwa 200 von 2.000 Frauen, die zehn Jahre lang zum Screening gehen. Weitere Untersuchungen wie Ultraschall, eine Gewebeprobe (Biopsie) oder eine erneute Mammografie können dann zwar Klarheit bringen. Doch ein solcher Fehlalarm ist belastend, weil es Monate dauern kann, bis klar ist, ob es sich um einen bösartigen Tumor oder um eine harmlose Zyste oder Verkalkung handelt.
Das größte Risiko: Eine Übertherapie
Ein schwerwiegenderes Problem ist jedoch die sogenannte Überdiagnose oder Übertherapie. Davon sprechen Mediziner, wenn bei einer beschwerdefreien Person Veränderungen festgestellt und behandelt werden, die für die weitere Gesundheit unbedeutend sind. Tatsächlich ist nämlich nicht jede Brustkrebsdiagnose behandlungsbedürftig. In manchen Fällen wächst der Tumor zum Beispiel so langsam, dass er zeitlebens nie zum Problem wird. Das weiß man aus histologischen Gewebeuntersuchungen von Menschen, die solche Tumore hatten, aber weder daran gestorben sind noch Beschwerden hatten.
In anderen Fällen werden zur Sicherheit Vorstufen von Brustkrebs behandelt, aus denen sich gar kein Krebs entwickelt hätte – zum Beispiel, weil ein Pathologe zu einer Fehleinschätzung gelangt ist. Laut einer Studie der Universität Harvard sind 15 bis 20 Prozent der Frauen von solchen Überdiagnosen betroffen. Mit prekären Folgen, denn Krebsbehandlungen sind belastend: Operationen, Bestrahlung, Chemotherapie und Co. haben schwere Nebenwirkungen wie Haarausfall oder Übelkeit und können Langzeitschäden wie vorzeitige Wechseljahre, Unfruchtbarkeit oder Depressionen verursachen. Außerdem erhöhen sie das Risiko für andere Krankheiten und Krebsarten. „Es ist allerdings sehr schwierig zu sagen, wie oft es tatsächlich zu Überdiagnosen kommt. Die Schätzungen reichen von 3 bis 33 Prozent. In Deutschland wird das Screening noch nicht lange genug durchgeführt, um abschließende Ergebnisse vorzulegen“, so Schulz-Wendtland, der anhand der Studienlage eher einen Wert zwischen 1 und 10 Prozent für plausibel hält.
Hinzu kommt, dass die Vorsorgeuntersuchung das Brustgewebe mit Röntgenstrahlen belastet. Zwar ist diese bei modernen Geräten gering, doch wer alle zwei Jahre zum Screening geht, ist trotzdem einer gewissen Belastung ausgesetzt. Das ist einer der Gründe, warum Mammografien nur selten bei jungen Frauen durchgeführt werden. Deren zellteilungsaktives Gewebe ist anfälliger für Strahlenschäden. Außerdem ist es dichter, was die Mammografie erschwert. „Bei Frauen unter 40 Jahren ist deshalb in der Vorsorge eine Ultraschalluntersuchung die Methode der Wahl“, erklärt Professor Schulz-Wendtland. Eine Mammografie sollte in dieser Altersgruppe erst bei Auffälligkeiten vorgenommen werden.
Eine Mammografie kann Brustkrebs nicht verhindern
Aus diesen Gründen fordert unter anderem das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin eine Neubewertung des Screenings und eine bessere Aufklärung. Was aber bedeutet das alles für Frauen, die Angst vor Brustkrebs haben? Eine Umfrage zeigte 2014, dass jede zweite Frau in Deutschland falsch oder unzureichend über Mammografien informiert ist. So glauben zum Beispiel viele, dass die Untersuchung vor Brustkrebs schützt. „Das ist definitiv nicht der Fall. Mammografien können Brustkrebs lediglich in einem frühen Stadium sichtbar machen, nicht aber verhindern“, betont Professor Friese. Die Studie zeigt außerdem, dass der Nutzen einer Mammografie oft überbewertet wird, während Risiken wie Fehldiagnosen und Überdiagnosen weitgehend unbekannt sind. So tippen Frauen im Durchschnitt, dass eine Mammografie 237 von 1.000 Frauen das Leben rettet, wenn diese zehn Jahre lang zur Mammografie gehen.
Die Wissenschaft kommt allerdings zu einer anderen Einschätzung: Je nach Studie erhöht eine Mammografie die Überlebenschance für maximal fünf von tausend Frauen, die zehn Jahre lang zur Mammografie gehen. Die meisten Untersuchungen gehen sogar davon aus, dass nur eine von tausend Frauen davon profitiert. Experte Schulz-Wendtland warnt dennoch davor, den Nutzen des Screenings zu unterschätzen: „Wir verzeichnen einen deutlichen Rückgang fortgeschrittener Karzinome und gehen davon aus, dass das Screening dazu beiträgt, die Sterblichkeit durch Brustkrebs zu senken. Expertenkommissionen in anderen europäischen Ländern raten deshalb dazu, das Screening fortzuführen und sogar auszuweiten.“
Nützlich oder schädlich? Eine individuelle Entscheidung
Egal was die Statistik sagt: Viele Frauen treibt die Angst zum Screening. Bei Brustkrebs ist eine Körperregion betroffen, die viel mit dem weiblichen Selbstverständnis zu tun hat. Da geht es um Attraktivität, Mutterschaft und Erotik. Mitunter fällt es deshalb schwer, rational abzuwägen. Obwohl 51 Prozent der Todesfälle bei Frauen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen sind – und nur drei Prozent auf Brustkrebs. Letztlich muss also jede für sich selbst entscheiden, ob und in welchem Turnus eine Mammografie sinnvoll ist oder nicht. „Das Verfahren lässt sich nicht pauschal bewerten. Jede Frau sollte sich umfassend informieren, mit ihrem Frauenarzt oder ihrer Frauenärztin darüber sprechen und für sich persönlich abwägen, ob Nutzen oder Schaden überwiegen“, empfiehlt Professor Friese.
Sein Kollege Schulz-Wendtland hingegen rät Frauen der angesprochenen Altersgruppe uneingeschränkt zum Screening – selbst dann, wenn keine Auffälligkeiten vorliegen. Die Einschätzung der Experten ist also unterschiedlich. Sicher ist nur: Wer sich für eine Mammografie entscheidet, sollte darauf achten, die Untersuchung in einem zertifizierten Zentrum durchführen lassen. (Anm. d. Red.: Zertifizierte Zentren, die eine hohe Qualität des Mammografie-Screenings bieten, finden Sie unter http://www.senologie.org/brustzentren) „Nur in den Zentren ist eine hohe Qualität des Screenings sichergestellt, die Geräte werden ständig gewartet und sind besonders strahlungsarm“, sagt Friese. Außerdem begutachten in der Regel zwei speziell qualifizierte Ärzte die Aufnahmen und beurteilen diese unabhängig voneinander. Im Rahmen einer Mammografie sollte man sich gedanklich darauf einstellen, dass es zu Fehldiagnosen kommen kann und gegebenenfalls weitere Untersuchungen nötig sind.
Interview Professor Friese
„Nicht übereilt handeln“
Wie sollte man auf eine Einladung zum Mammografie-Screening reagieren?
Ob mit Einladung oder ohne: Wer mit dem Gedanken spielt, eine Mammografie durchführen zu lassen, sollte nicht übereilt handeln und zunächst das Gespräch mit dem Frauenarzt suchen. Es müssen viele Faktoren bedacht werden, etwa das Alter, der Gesundheitszustand, die genetische Vorbelastung und aktuelle Befunde. Liefert zum Beispiel eine Tast- oder Ultraschalluntersuchung Hinweise auf eine Veränderung, sollten diese in den meisten Fällen durch eine Mammografie abgeklärt werden. Ist dem nicht so, wird der Frauenarzt vielleicht abraten. Eine Mammografie ist ja nur ein Baustein in einem Haus aus vielen Möglichkeiten und keine Pflichtuntersuchung.
Worauf sollte man achten, wenn man sich für ein Screening entscheidet?
Auf jeden Fall sollte man die Untersuchung in einem zertifizierten Brustzentrum durchführen lassen. Das ist wichtig, um die Qualität sicherzustellen. Das fängt bei speziell gewarteten, neuen und strahlungsarmen Geräten an und hört bei fähigen Radiologen und Pathologen auf, die die Ergebnisse entsprechend beurteilen können. Außerdem sollte man sich im Vorfeld gut informieren, damit man bei einem falsch positiven Befund nicht unnötig in Panik gerät. Ich halte es außerdem für sinnvoll, nach Absprache mit dem Frauenarzt selbst einen Termin zu vereinbaren, statt zu einem festgelegten Screening-Termin zu gehen. So ist eine individuellere Betreuung im Kontext der persönlichen Krankengeschichte möglich.
Welche Alternativen zur Mammografie gibt es?
Wenn es um die Abklärung eines bestehenden Verdachts geht, ist die Mammografie die Basisuntersuchung. In der Vorsorge spielen auch Tast- und Ultraschalluntersuchungen eine wichtige Rolle, ebenso wie die Magnet-Resonanz-Therapie (MRT). Diese Untersuchungen sind nicht nur eine Ergänzung zur Mammografie, sondern haben ihren eigenen Nutzen. Bei jungen Frauen zum Beispiel hat ein Ultraschallbild mitunter mehr Aussagekraft, weil das Brustgewebe für eine Mammografie zu dicht ist. Und eine Tastuntersuchung kann Probleme ans Licht bringen, die gar nicht im Untersuchungsbereich einer Mammografie liegen, etwa an den Achselhöhlen. Viele Veränderungen an der Brust werden auf diese Art entdeckt. Deshalb ist es für Frauen sinnvoll, sich die Selbstuntersuchung anzueignen und regelmäßig durchzuführen.
Wie sollte man auf eine Einladung zum Mammografie-Screening reagieren?
Ob mit Einladung oder ohne: Wer mit dem Gedanken spielt, eine Mammografie durchführen zu lassen, sollte nicht übereilt handeln und zunächst das Gespräch mit dem Frauenarzt suchen. Es müssen viele Faktoren bedacht werden, etwa das Alter, der Gesundheitszustand, die genetische Vorbelastung und aktuelle Befunde. Liefert zum Beispiel eine Tast- oder Ultraschalluntersuchung Hinweise auf eine Veränderung, sollten diese in den meisten Fällen durch eine Mammografie abgeklärt werden. Ist dem nicht so, wird der Frauenarzt vielleicht abraten. Eine Mammografie ist ja nur ein Baustein in einem Haus aus vielen Möglichkeiten und keine Pflichtuntersuchung.
Worauf sollte man achten, wenn man sich für ein Screening entscheidet?
Auf jeden Fall sollte man die Untersuchung in einem zertifizierten Brustzentrum durchführen lassen. Das ist wichtig, um die Qualität sicherzustellen. Das fängt bei speziell gewarteten, neuen und strahlungsarmen Geräten an und hört bei fähigen Radiologen und Pathologen auf, die die Ergebnisse entsprechend beurteilen können. Außerdem sollte man sich im Vorfeld gut informieren, damit man bei einem falsch positiven Befund nicht unnötig in Panik gerät. Ich halte es außerdem für sinnvoll, nach Absprache mit dem Frauenarzt selbst einen Termin zu vereinbaren, statt zu einem festgelegten Screening-Termin zu gehen. So ist eine individuellere Betreuung im Kontext der persönlichen Krankengeschichte möglich.
Welche Alternativen zur Mammografie gibt es?
Wenn es um die Abklärung eines bestehenden Verdachts geht, ist die Mammografie die Basisuntersuchung. In der Vorsorge spielen auch Tast- und Ultraschalluntersuchungen eine wichtige Rolle, ebenso wie die Magnet-Resonanz-Therapie (MRT). Diese Untersuchungen sind nicht nur eine Ergänzung zur Mammografie, sondern haben ihren eigenen Nutzen. Bei jungen Frauen zum Beispiel hat ein Ultraschallbild mitunter mehr Aussagekraft, weil das Brustgewebe für eine Mammografie zu dicht ist. Und eine Tastuntersuchung kann Probleme ans Licht bringen, die gar nicht im Untersuchungsbereich einer Mammografie liegen, etwa an den Achselhöhlen. Viele Veränderungen an der Brust werden auf diese Art entdeckt. Deshalb ist es für Frauen sinnvoll, sich die Selbstuntersuchung anzueignen und regelmäßig durchzuführen.